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Jasmin Brock: Radiofeature zum Tribunal NSU-Komplex auflösen
Studierende der Medienwissenschaft und der Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum haben im Rahmen einer Exkursion des Instituts für Medienwissenschaft, unter Leitung von Anja Michaelsen, am Tribunal NSU-Komplex auflösen, 17.-21. Mai 2017 im Schauspiel Köln und an verschiedenen dezentralen Orten in Köln, teilgenommen und in Essays ihre Eindrücke zur Inszenierung und den politischen Inhalten formuliert. Ein bundesweites Bündnis aus antirassistischen Initiativen, Einzelpersonen und Betroffenen, Überlebenden und Angehörigen, der NSU-Mord- und Anschlagserie hatte die mehrtägige Veranstaltung organisiert, um die Leerstelle zu füllen, die der sogenannte NSU-Prozess am Münchner Oberlandesgericht hinterlässt. Da dieser nicht die erhoffte „lückenlose Aufklärung“ leistet, haben es sich die Organisator_innen des Tribunals zur Aufgabe gemacht, durch Workshops, Konzerte, Videos, Theaterstücke, Ausstellungen und ein diskursives Hauptprogramm, Rassismus in seinen institutionellen, strukturellen und gesellschaftlichen Dimensionen zu verdeutlichen und vor allem, den Betroffenen einen Rahmen zu bieten, innerhalb dessen ihnen von einer großen Öffentlichkeit zugehört wird. Die deutsche Migrationsgeschichte, Nazistrukturen, die staatliche Involvierung, die Bedeutung der Medien, der Prozess und die zahlreichen und langjährigen Kämpfe antirassistischen Widerstands wurden, häufig ausgehend von Zeug_innenberichten, diskutiert. Abschließend wurde eine Anklageschrift vorgestellt, die umfassend den rassistischen Strukturen des NSU-Komplex’ Rechnung trägt. Die vollständige Anklage ist auf der Website des Tribunals http://www.nsu-tribunal.de/ nachzulesen.
Im Anschluss an das Seminar ist ein Radiofeature von Jasmin Brock entstanden. Für ct das Radio, das Campusradio der RUB, wurden O-Tönen vom Tribunal und Interviews mit einigen Teilnehmer_innen der Exkursion zusammengestellt.
Silvana Schmidt: „Was ist dein Streik?“ Überlegungen zu einer neuen Widerstandskultur
„Was ist dein Streik?“ – diese Frage wirft das Autorinnenkollektiv Precarias a la Deriva auf. Im Zentrum des Manifestes steht die Frage nach einer Strategie zur kollektiven Bekämpfung prekarisierender Lebenszusammenhänge. Dabei wird auf einen Begriff der Prekarität zurückgegriffen, der den Fokus nicht ausschließlich auf ökonomische Aspekte lenkt und damit eine Abweichung von vielen sozialwissenschaftlichen Analysen darstellt. Der vorliegende Artikel möchte sich diesem Verständnis der Prekarität annähern und aufzeigen, welche Parallelen zu Judith Butlers Ontologie des Subjekts erkennbar sind. Interessant ist dabei die Thematik einer feministischen Widerstandskultur im Bereich der CARE-Arbeit. Was bedeutet es, innerhalb eines Feldes zu streiken, das auf Sorgearbeit basiert? Muss es in diesem Rahmen zu einer Neudefinition des politischen Subjekts kommen?
José Herranz: Kollektive Handlungsermächtigung in der postfordistischen Stadt: Wohnungsnot und Aktivismus am Beispiel der spanischen PAH
Inwieweit werden Menschen, deren Verwundbarkeit eine Folge struktureller sozio-ökonomischer, politischer und technischer Veränderungen ist, durch kollektive Handlungsermächtigungen selbst zur Ursache für die Einleitung politischen, sozialen und technischen Wandels? Inwiefern entziffern sie im Akt des Widerstands Subjektivierungsmechanismen, die an den Intersektionen der sozialen Unterwerfung und der maschinischen Indienstnahme operieren? Um sich den Antworten auf diese Fragen anzunähern, wird das Beispiel der Plattform der Betroffenen der Hypothek (PAH) in Spanien herangezogen. Erste Überlegungen zum Kartierungsprojekt der PAH werden dazu dienen, die Widerständigkeit der PAH mit Bezug auf Maurizio Lazzaratos Thesen über die Rolle der politischen Aktion im Postfordismus zu betrachten. Um die Kontextualisierung zu erleichtern, werden einführend die Entstehung der Initiative sowie einige ihrer Methoden und Strategien skizziert.
Simon Dickel: parla memento hedera – Das Efeu-Parlament der Erinnerung
parla memento hedera ist der Name einer Klanginstallation des Berliner Klangkünstlers Christian W. Find, die jeweils in den Sommermonaten der Jahre 2012 bis 2015 auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin zugänglich war. In der Klanginstallation werden 16 Stimmen von Aktivist_innen und Künstler_innen, die auf dem Friedhof bestattet sind, hörbar. Das Interview legt einen inhaltlichen Schwerpunkt auf die in der Installation vertretenen Stimmen zum Thema HIV/AIDS und fragt auf konzeptueller Ebene nach dem Zusammenhang von auditiver Wahrnehmung und Erinnerungspolitik.
Anja Michaelsen, Karin Michalski, Todd Sekuler: AIDS-Proteste, Videokunst und queere Politiken. Ein Gespräch mit Karin Michalski und Todd Sekuler
Anlässlich der aktuell wieder verstärkten Aufmerksamkeit für AIDS-Politiken und AIDS-Aktivismus in den Queer Studies und queerer Kunstproduktion erläutern die Filmemacherin und Kuratorin Karin Michalski und der Kulturwissenschaftler Todd Sekuler im Gespräch mit Anja Michaelsen die spezifische politische und ästhetische Bedeutung insbesondere von Videodokumentation und -kunst. Sie diskutieren einzelne im Kontext der AIDS-Bewegungen seit den 1980er Jahren entstandene Videos in Hinblick auf ihre ästhetischen Eigenschaften und auf die politischen und affektiven Verbindungen zur gegenwärtigen Situation. Was lässt sich möglicher Weise aus den damaligen Kämpfen und Strategien bezüglich der Politisierung von Wut und negativen Gefühlen und der Betonung kollektiven Protests lernen? Das Gespräch fand im Anschluss an die Veranstaltung mit Michalski und Sekuler AIDS. Aktivismus. Videokunst nach 1989 im Sommersemester 2014 am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum statt.
José Herranz Rodríguez: Can the 99% speak?
Gayatri Chakravorty Spivak schrieb 1988 das Konzept der Subalternität neu und benutzte es, um sich auf postkoloniale Subjekte ohne jegliche Repräsentation in der Gesellschaft zu beziehen. Ihre Stimmen konnten nicht gehört werden, die herrschenden Diskurse brachten sie zum Verstummen. Dieser Artikel fragt danach, ob dieses Konzept, einst auf (de-)kolonisierte Räume beschränkt, nicht auch auf Europa und die USA erweitert werden kann, und er erkundet die Rolle der Occupy Wall Street- und der Indignados-Bewegungen in einer Situation der Subalternisierung der Mittelklasse in den ‚entwickelten’ Ländern. Haben die Bevölkerungen der USA oder Spaniens immer noch politische Repräsentation in ihren entsprechenden national-parlamentarischen Demokratien oder stehen sie abseits einer inszenierten gesellschaftlichen Teilhabe? Anhand des Konzepts der Subalternität und Spivaks Text Can the Subaltern Speak? versucht die Analyse, Spivaks nicht ausgeführte Neupositionierung nachzuvollziehen und zu zeigen, dass ein scheinbar strategisches Schweigen dieser Bewegungen in Wirklichkeit eine wahrhafte Subalternität spiegelt.