Die sogenannte 24-Stunden-Pflege hat sich in der hiesigen Gesellschaft zu einem boomenden Geschäft entwickelt. Eine individualistische Lösung auf ein alltagsgefährdendes Problem: Die Pflege eines Angehörigen, die in postindustriellen Gesellschaften zwangsläufig mit unauflösbaren Widersprüchen verbunden ist. Strukturelle als auch normative Zwänge wie sie etwa in einer familialistisch ausgerichteten, deutschen Pflegepolitik oder starren Geschlechterkonstruktionen vertreten sind, schwingen bei der Entscheidung für eine angemessene Pflegeform unweigerlich mit. Sie werden von der steigenden Erwerbstätigkeit mittelständiger Frauen und dem Bedeutungsverlust von familiärer Gemeinschaft konterkariert. Eine privatisierte Auslagerung der familiären Verpflichtungen an eine migrantische, meist osteuropäische Care-Arbeiterin situiert ein Konzept, das diese Diskrepanzen abzufangen vermag. Doch welche Konsequenzen hat eine transnationale Arbeitsmigration auf die Lebensräume der so beschäftigten Frauen? Wie gestaltet sich die Ambiguität des Privatraums als marktförmige Reproduktionsstätte? Und welchen Einfluss übt ein solches Arrangement auf die Geschlechterkonstruktionen der Gruppe der polnischen Care-Arbeiterinnen aus? Der Beantwortung dieser Fragen soll in vorliegendem Artikel nachgegangen werden.
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Hannah Hummel: An der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion: Migration als Diskursfeld in Chantal Akerman’s De l’autre côté
Chantal Akermans De l’autre côté spürt die Gewaltverhältnisse an der Grenze zwischen Mexiko und den USA entlang der beiden Städte Agua Prieta und Douglas sowie der Wüstenregion nördlich von Douglas auf. Die Akteur_innen des Grenzgebiets befinden sich in einer traumatischen Gegenwart zwischen Erinnerung und Realität, Sichtbarem und Unsichtbarem, sowie Stasis und Bewegung. Der Artikel beleuchtet den Differenzcharakter von De l’autre côté gegenüber den klassischen Kategorien von dokumentarischem, fiktionalem und strukturellem Film und zeigt auf, wie Akermans spezifische Filmästhetik ihren Bildern politische Wirkmächtigkeit verleiht, indem sie den Moment des illegalisierten Grenzübertritts auf eine nicht-sichtbare Wahrnehmungsebene der Betrachter_in verschiebt. Es wird dargestellt, wie De l’autre côté in seiner filmischen Rhetorik der Gegensätzlichkeit eine sich von der Grenzmauer aus auf die umliegenden Gebiete ausweitenden Brutalität evoziert und Migration auf komplexe Weise als Diskursfeld begreiflich macht.