Archive
Constanze Stutz: Sich radikal in der eigenen Zurichtung fühlen können – Über pop-feministische Erfahrungsliteratur, unmögliche Emanzipation und das notwendige Scheitern der Form
Populäre Texte über Feminismus und weibliche Erfahrung in der Gegenwart von Autorinnen wie Laurie Penny und Margarete Stokowski beginnen bei ihrer eigenen Gewordenheit: Wie wurde ich von dieser Gesellschaft zur Frau gemacht und was kann ich gegen die Gewalttätigkeit tun, die diesem Prozess immer auch eingeschrieben ist? Ihre feministische Erfahrungsliteratur ist dabei zugänglich, unterhaltend und kathartisch in der Darstellung des beißenden Unbehagens mit der eigenen weiblichen Subjektwerdung in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft. Vieles von dem, was sie schreiben ist richtig und notwendig. In letzter Konsequenz bleiben beide jedoch bei einer individualistischen Herstellung von Handlungsfähigkeit stehen, deren Befreiungsversuche allein vereinzelte Strategien des weiblichen Empowerments anbieten.
Der Artikel vermisst daher das Verhältnis von Erfahrung als Selbsterfahrung und Erfahrung als Grundlage für individuelle und gesellschaftliche Veränderung in populärer feministischer Literatur und geht durch eine Analyse der Funktion von Erfahrung im Schreiben von Laurie Penny und Margarete Stokowski dem widersprüchlichen Verhältnis von Pop und Feminismus in der Gegenwart nach.
Raphaela Kossinis: Back into the Mainstream: Das subversive Potenzial von Pose
2019 launchte mit Pose eine Netflix-Serie, die von Kritiker*innen aufgrund ihres hohen Anteils an trans Schauspieler*innen augenblicklich als LGTBIQ*-Superserie gefeiert wurde. Aber eine nähere Betrachtung lohnt sich. Dieser Artikel zeigt im Anschluss an Judith Butlers theoretische Überlegungen zum subversiven Potenzial von Drag in Bodies that Matter auf, dass die Repräsentationspolitik der Serie nicht selbstverständlich gleichzusetzen ist mit der Subversion binärer Geschlechterordnungen. Vielmehr enthüllt Pose zwar den inszenatorischen Charakter von Geschlechtsidentitäten, garantiert damit allerdings keine Entnaturalisierung von Geschlechternormen, sondern riskiert ihre Reidealisierung im Dienst eines weißen, heterosexuellen Mainstreams.
Louisa Heerde, Isabela Przywara und André Wieczorek: Politische Dimensionen des YouTube-Algorithmus
Seitdem YouTube als eine der relevantesten sozialen Plattformen unserer Zeit etabliert ist, wird dem Videoportal vorgeworfen, durch die Funktionsweise des zugrundeliegenden Empfehlungsalgorithmus die Bildung homophiler Interaktionsräume auf der Plattform zu begünstigen und zudem Inhalte, die einer politisch rechten Ideologie entstammen, zu befördern. Da nicht alle Parameter und Prozesse, die in den Algorithmus einfließen, von YouTube offengelegt werden, haben wir mithilfe eines Selbstexperiments den Versuch unternommen, die politischen Dimensionen des YouTube-Algorithmus offenzulegen. Dafür haben wir das linke und rechte Spektrum auf YouTube untersucht: So bezeichnet die Positionierung als linke_r Akteur_in auf der Plattform eine dezidierte Gegenposition zum rechten Netzwerk und entstammt keiner extremistischen Ideologie, sondern schließt unter anderem Akteur_innen etablierter journalistischer Medienanstalten ein. Zudem stellen wir fest, dass die als neutral definierte Persona vom Algorithmus als männlich kodifiziert wird und im weiteren Verlauf unseres Experiments recht schnell mit eindeutig rechten Akteur_innen in Kontakt kommt. Begleitend zu dieser Projektarbeit erscheint ein Audio-Feature festgehalten, in welchem Expert_innen aus Wissenschaft und Journalismus zu YouTubes Empfehlungsalgorithmus Stellung beziehen.
Nicola Przybylka: Life is Strange – ein „Game for Change“?
Digitale Spiele sind heutzutage nicht mehr aus der Medien- und Kulturlandschaft wegzudenken. Mit dem Motto „Vielfalt gewinnt“ untermauerte die Gamescom 2018 die Diversität und Liberalisierung ihrer Produkte und Community. Trotz eines aufstrebenden Sektors der Indie Games, lässt der reale Rückgriff auf altbewährte Narrationen und Spieldesigns diese „Vielfalt“ jedoch noch immer vermissen. Die Games for Change Awards wollen das gesellschaftskritische und politische Potential von digitalen Spielen fördern. Im Jahr 2016 zeichneten sie das episodenhaft angelegte, interaktive Story-Game Life is Strange (2015) in den Kategorien „Game of the Year“ und „Most Significant Impact“ aus. Dieser Beitrag soll untersuchen, inwiefern Life is Strange mit der konventionellen, optischen und charakterlichen Darstellung von Frauen in digitalen Spielen bricht und sich mit der klaren Benennung von gesellschaftlich tabuisierten Themen von gängigen Top-Titeln abhebt. Auch die Ebene des Spieldesigns wird dabei in den Blick genommen und die im Regelwerk eingeschriebene Art der Involvierung des_der Spieler_in kritisch betrachtet.
Jennifer Eickelmann: Mediatisierte Missachtung und die Verhandlung von Gender bei Empörungswellen im Netz. Der Fall Anita Sarkeesian
Mediatisierte Empörungswellen, auch ‚Shitstorms‘ genannt, sind mittlerweile zum festen Bestandteil von Aushandlungsprozessen im sogenannten ‚Mitmach-Web‘ avanciert. Gleichzeitig wird die Frage, wie das Phänomen konzeptionalisiert werden kann, für die wissenschaftliche Auseinandersetzung immer dringlicher. Anhand des Projektes Tropes vs. Women in Video Games von Anita Sarkeesian wirft der Aufsatz einen Blick sowohl auf die Medialität des Phänomens mediatisierter Empörungswellen, als auch – und damit untrennbar verbunden – auf die Performativität von Geschlechtlichkeit. Dies ermöglicht es, die Verletzungsmacht mediatisierter Empörungswellen mit der Konstitution der Kategorie Geschlecht zusammenzudenken und Umgangsstrategien einzuschätzen. Abschließend wird mit dem Begriff der ‚Störfigur‘ eine Konzeptionalisierung von mediatisierten Empörungswellen vorgeschlagen, welche sowohl ihre Verletzungsmacht und normierende Funktion, aber auch ihr produktives Potenzial, bestehende Normen zu destabilisieren, einfangen kann.
Max Kanderske: Kritik an Repräsentationen schwuler Männlichkeit im Yaoi-Manga
Im japanischen Yaoi-Manga werden Beziehungen zwischen männlichen Protagonisten – häufig in expliziter Art und Weise – zur Unterhaltung einer vornehmlich weiblichen Leserschaft dargestellt. Anhand der Kritik, die Masaki Satō 1992 an dieser Darstellungsform übte, sollen im Rahmen dieses Artikels wesentliche Genrespezifika ermittelt und die Besonderheiten für eine weibliche Leserschaft konzipierter männlicher Liebesbeziehungen untersucht werden.