Der Dortmunder Norden verzeichnet die Geschichte der Migrationsbewegungen des Ruhrgebiets. Er gilt als sozialer Brennpunkt, und wird daher zum Ziel von Ordnungs- und Biopolitiken, die ihn als „kriminogenen Ort“ definieren. Im Gespräch mit zwei Bewohnern der Dortmunder Nordstadt wird der Versuch einer Auseinandersetzung mit dem rassistischen Ausnahmezustand in diesem Stadtteil unternommen: Anhand eines konkreten Anlasses im Oktober 2017, bei welchem linke Proteste gegen als rassistisch kritisierte Polizeikontrollen zu mehreren Verhaftungen führten und eine lokale Debatte auslösten, die seismographisch den zeitgenössischen Diskurs um Sicherheit und Ordnung, Migration und die damit verbundenen Politiken verzeichnete, versucht dieser Artikel die Debatte zu verknüpfen mit Erfahrungen des alltäglichen Erlebens und Überlebens in der Stadt. Die differenten Perspektiven und Erfahrungen des Alltags erweisen sich dabei als verflochten mit der stadträumlichen und sozialen Segregation. Gerade aufgrund dieser Differenzen stellt sich die Frage, wie die je situierten Erfahrungen solcher gegenwärtigen sozialen Realitäten zusammengeführt, und der strukturellen Unsichtbarkeit dieser entgegengewirkt werden kann.
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Alexander Kurunczi: Reassessing the Riots: Navigating Capitalism, Complicity, and Resistance
Michael Hardt and Antonio Negri conceive of neoliberal biopolitics as a deterritorialised and deindividualised instrument of influence on society in general and its subjects in particular. They postulate that complicity with neoliberal economic imperatives is inevitably induced by the forms of subjectivisation. In response to these analyses, which delineate the ineluctability of commodification and consumerist logic, this paper suggests that the London Riots of 2011 offer an anti-complicit – and local – protest which disavows the parameters of contemporary capitalist epistemology. In their specific disruption the riots respond to processes of subjectivisation; they cannot be limited to a mode of “destructive violence” (Žižek), bereft of any political dimension. The riots defied the logics of racial, class-related, and gendered intelligibility so pivotal for neoliberal regimes of power and punishment, while offering both, the perspective and the voice of the abjected and socio-economically stigmatised underclass. Their divergence from established hierarchically organised forms of protest, therefore, further enabled a conceptualisation of the members of this so-called underclass as potentially revolting subjects of a newly constituted “class for itself.” Transcending leftist male-dominated discourses, the protests demonstrate the heterogeneity of marginalised subaltern groups, instead of letting a particular group represent them and speak for them.
Silvana Schmidt: „Was ist dein Streik?“ Überlegungen zu einer neuen Widerstandskultur
„Was ist dein Streik?“ – diese Frage wirft das Autorinnenkollektiv Precarias a la Deriva auf. Im Zentrum des Manifestes steht die Frage nach einer Strategie zur kollektiven Bekämpfung prekarisierender Lebenszusammenhänge. Dabei wird auf einen Begriff der Prekarität zurückgegriffen, der den Fokus nicht ausschließlich auf ökonomische Aspekte lenkt und damit eine Abweichung von vielen sozialwissenschaftlichen Analysen darstellt. Der vorliegende Artikel möchte sich diesem Verständnis der Prekarität annähern und aufzeigen, welche Parallelen zu Judith Butlers Ontologie des Subjekts erkennbar sind. Interessant ist dabei die Thematik einer feministischen Widerstandskultur im Bereich der CARE-Arbeit. Was bedeutet es, innerhalb eines Feldes zu streiken, das auf Sorgearbeit basiert? Muss es in diesem Rahmen zu einer Neudefinition des politischen Subjekts kommen?
José Herranz: Kollektive Handlungsermächtigung in der postfordistischen Stadt: Wohnungsnot und Aktivismus am Beispiel der spanischen PAH
Inwieweit werden Menschen, deren Verwundbarkeit eine Folge struktureller sozio-ökonomischer, politischer und technischer Veränderungen ist, durch kollektive Handlungsermächtigungen selbst zur Ursache für die Einleitung politischen, sozialen und technischen Wandels? Inwiefern entziffern sie im Akt des Widerstands Subjektivierungsmechanismen, die an den Intersektionen der sozialen Unterwerfung und der maschinischen Indienstnahme operieren? Um sich den Antworten auf diese Fragen anzunähern, wird das Beispiel der Plattform der Betroffenen der Hypothek (PAH) in Spanien herangezogen. Erste Überlegungen zum Kartierungsprojekt der PAH werden dazu dienen, die Widerständigkeit der PAH mit Bezug auf Maurizio Lazzaratos Thesen über die Rolle der politischen Aktion im Postfordismus zu betrachten. Um die Kontextualisierung zu erleichtern, werden einführend die Entstehung der Initiative sowie einige ihrer Methoden und Strategien skizziert.
Philipp Hanke: Strategien der Entkörperlichung. Biopolitische Prekarität und filmische Handlungsmacht in den Filmen von Todd Haynes
An den Frauenfiguren des amerikanischen Filmemachers Todd Haynes scheinen sich Formen subjektivierten Leidens und biopolitischer Prekarität exemplarisch zeigen zu lassen. Als Ergebnis normierender und diskriminierender Unterdrückung drohen die Frauenfiguren – auch auf sehr körperliche Weise – zu verschwinden. Ein genauerer Blick auf queere Blickweisen, filmästhetische Subversion und einen allegorisch-metaphorischen Umgang mit politisch aufgeladenen Themen wie Identität, Krankheit, Geschlecht und Rassismus lässt jedoch die Ambivalenz dieser Entkörperlichung und Momente möglicher Handlungsmacht hervortreten.
Anja Michaelsen, Karin Michalski, Todd Sekuler: AIDS-Proteste, Videokunst und queere Politiken. Ein Gespräch mit Karin Michalski und Todd Sekuler
Anlässlich der aktuell wieder verstärkten Aufmerksamkeit für AIDS-Politiken und AIDS-Aktivismus in den Queer Studies und queerer Kunstproduktion erläutern die Filmemacherin und Kuratorin Karin Michalski und der Kulturwissenschaftler Todd Sekuler im Gespräch mit Anja Michaelsen die spezifische politische und ästhetische Bedeutung insbesondere von Videodokumentation und -kunst. Sie diskutieren einzelne im Kontext der AIDS-Bewegungen seit den 1980er Jahren entstandene Videos in Hinblick auf ihre ästhetischen Eigenschaften und auf die politischen und affektiven Verbindungen zur gegenwärtigen Situation. Was lässt sich möglicher Weise aus den damaligen Kämpfen und Strategien bezüglich der Politisierung von Wut und negativen Gefühlen und der Betonung kollektiven Protests lernen? Das Gespräch fand im Anschluss an die Veranstaltung mit Michalski und Sekuler AIDS. Aktivismus. Videokunst nach 1989 im Sommersemester 2014 am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum statt.