Ausgabe #9 (Juni 2012). Sonderausgabe: Revisionen und Repolitisierungen von „Gender und Medien“

Zur Sonderausgabe: Revisionen und Repolitisierungen von „Gender und Medien“ Astrid Deuber-Mankowsky, Anja Michaelsen
„Wenn sie nicht aufpasst, wacht sie eines schönen Tages auf und ist ein Nigger“. Passing durch Hybridität
Sara Ahmed
I Got This Way from Eating Rice. Schwule asiatische Dokumentationen und die Umerziehung von Begehren Nguyen Tan Hoang
Gender Trouble im amerikanischen Fernsehen des 21. Jahrhunderts? Glee und das Spiel mit Geschlechtsidentitäten
Janine Wahrendorf
Family Matters. Postmoderne Verwandtschaftsbeziehungen in United States of Tara
Felix Tristan Gregor
Can the 99% speak?
José Herranz Rodríguez
Schnitte in das Reale. Pierre Moliniers Fotomontage
Katarzyna Gorska


 

Zur Sonderausgabe: Revisionen und Repolitisierungen von „Gender und Medien“

Astrid Deuber-Mankowsky, Anja Michaelsen

 

„Wenn sie nicht aufpasst, wacht sie eines schönen Tages auf und ist ein Nigger“. Passing durch Hybridität

Sara Ahmed

In diesem Artikel untersuche ich rassifizierte Narrative von passing und ihre Beziehung zu Diskursen von Hybridität. Anstatt passing als inhärent transgressiv oder als auf der einen oder der anderen Seite von Identitätspolitik zu definieren, argumentiere ich, dass passing in Bezug zu Formen sozialer Antagonismen verstanden werden muss. Ich stelle folgende Fragen: Wie werden Differenzen, die das System bedrohen, wiederhergestellt? Wie werden uneindeutige oder hybride Körper auf eine Weise gelesen, die weiterhin die enunziative Macht derjenigen unterstützt, die die Differenz benennen? Auf welche Weise ist ‚passing’ in genau diesen Diskurs um das Benennen von Differenzen einbezogen? Auch wenn alle Identitäten bis zu einem bestimmten Grad passing beinhalten – insofern das Subjekt nie ‚ist’, wie es sich selbst zu sein ‚abbildet’ – müssen wir dennoch die Differenzen zwischen passing als weiß und passing als schwarz theoretisieren. Ich argumentiere, dass für eine weiße Person das passing als schwarz als eine Wissenstechnik fungieren kann, die davon ausgeht, dass sich ‚Schwarzsein’ abbilden und folglich auch ‚sein’ lässt. Jedoch können schwarze Subjekte, die es ablehnen, als weiß ‚durchzugehen’ – das heißt, schwarze Subjekte, die als schwarz ‚durchgehen’ – die gewaltsamen Geschichten sichtbar machen, die durch die Unsichtbarkeit der Spur von passing verborgen werden. Ein solcher Prozess des ‚Durchgehens’ als schwarzes Subjekt ist an eine Politik des Kollektivs gebunden – an das Zusammenkommen durch die Anerkennung dessen, was fehlt und wodurch passing überhaupt erst hervorgebracht wird.

I Got This Way from Eating Rice. Schwule asiatische Dokumentationen und die Umerziehung von Begehren

Nguyen Tan Hoang

Dieser Artikel untersucht eine Gruppe experimenteller Dokumentationen schwuler asiatischer diasporischer Künstler in den 1990ern. Als Teil eines politischen Projektes um die Konstruktion schwuler asiatischer Männer als feminisiert, passiv und unter internalisiertem Rassismus leidend, versuchen diese Videos schwule asiatische Subjekte umzuerziehen, um die Passivität und Objektivierung, die in ‚interrassischen’ (weiß-asiatischen) Beziehungen vorausgesetzt wird, zurückzuweisen, zugunsten einer politischen Ermächtigung, begründet in gleichberechtigten (asiatisch-asiatischen) sticky rice-Beziehungen. Der Artikel argumentiert, in Gegenüberstellung der Analyse dieser Dokumentationen und einer Diskussion asiatischer lesbischer experimenteller Videos, dass die lesbischen Videos den disziplinierenden Drang der sticky rice-Dokumentationen herausfordern, indem sie die widerspenstigen Affekte von bottomhood und das Vergnügen an Unterwerfung erkunden. Mit dieser Behauptung anerkennt der Artikel die wichtige Intervention schwuler asiatischer Dokumentationen in rassifizierte sexuelle Repräsentationen; zugleich verweist er jedoch auf das Problem, für sexuelles Begehren Gesetze erlassen zu wollen und auf die Grenzen der Privilegierung von ‚Rasse’ über andere Modalitäten sozialer Differenz wie Klasse und Nationalität.

Gender Trouble im amerikanischen Fernsehen des 21. Jahrhunderts? Glee und das Spiel mit Geschlechtsidentitäten

Janine Wahrendorf

Judith Butler formulierte Anfang der neunziger Jahre ihre Theorie der Heteronormativität und bezeichnete die Parodie als Möglichkeit, um Machtstrukturen offen zu legen und Binärismen aufzubrechen, das heißt, als Gender Trouble. Ob und wie die zeitgenössische Serie Glee diese Problematik über zwanzig Jahre später ebenfalls aufgreift, soll vor allem an der Figur des Kurt Hummel analysiert werden, um im Anschluss auf die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf „Homonormativität“ eingehen zu können.

Family Matters. Postmoderne Verwandtschaftsbeziehungen in United States of Tara

Felix Tristan Gregor

Das Bild der klassischen Familie wird in seiner angenommenen Rolle als das Bild der ‚repräsentativ-normalen’ Familie heute immer öfters durch das neue Bild der queeren Familie abgelöst. In einem close-reading der US-Fernsehserie United States of Tara wird der Frage nach alternativen Familien- und Verwandtschaftsstrukturen und ihrer Konstruktion in einem aktuellen medialen Beispiel nachgegangen. Durch eine detaillierte Analyse von Figurenanordnungen und -beziehungen in der Serie wird aufgezeigt, dass die Bilder des klassischen Familienideals einer nuklearen Kleinfamilie heute lediglich in ihren Momenten des Scheiterns und ihrer Unerfüllbarkeit dargestellt werden und damit nicht mehr als Ausdruck der postmodernen Familie dienen. Vielmehr treten alternative Familien- und Verwandtschafts(an-)ordnungen in den Mittelpunkt, die von Familiennetzwerken innerhalb der LGBT-Communities beeinflusst sind. Ausgangspunkt der Untersuchung bilden dabei Thesen Judith Butlers, die sie in Hinblick auf alternative Verwandtschaftsformen formuliert hat. Daneben werden aber auch weitere aktuelle Ansätze aus der Sozial- und Kulturwissenschaft berücksichtigt.

Can the 99% speak?

José Herranz Rodríguez

Gayatri Chakravorty Spivak schrieb 1988 das Konzept der Subalternität neu und benutzte es, um sich auf postkoloniale Subjekte ohne jegliche Repräsentation in der Gesellschaft zu beziehen. Ihre Stimmen konnten nicht gehört werden, die herrschenden Diskurse brachten sie zum Verstummen. Dieser Artikel fragt danach, ob dieses Konzept, einst auf (de-)kolonisierte Räume beschränkt, nicht auch auf Europa und die USA erweitert werden kann, und er erkundet die Rolle der Occupy Wall Street– und der Indignados-Bewegungen in einer Situation der Subalternisierung der Mittelklasse in den ‚entwickelten’ Ländern. Haben die Bevölkerungen der USA oder Spaniens immer noch politische Repräsentation in ihren entsprechenden national-parlamentarischen Demokratien oder stehen sie abseits einer inszenierten gesellschaftlichen Teilhabe? Anhand des Konzepts der Subalternität und Spivaks Text Can the Subaltern Speak? versucht die Analyse, Spivaks nicht ausgeführte Neupositionierung nachzuvollziehen und zu zeigen, dass ein scheinbar strategisches Schweigen dieser Bewegungen in Wirklichkeit eine wahrhafte Subalternität spiegelt.

Schnitte in das Reale. Pierre Moliniers Fotomontage

Katarzyna Gorska

Im Zentrum von Pierre Moliniers Arbeit Mandrake se regale steht, ähnlich wie in anderen seiner Arbeiten, die explizite Darstellung sexueller Handlungen. Ist die Arbeit deswegen als pornographisch einzuordnen, weil sie sich zu deutlich über die Sexualität äußert? Die Beachtung der Technik der Fotomontage, der sich Molinier bedient hat, lässt die Arbeit in einem anderen Licht erscheinen. Die Begriffe Pornographie, Sexualität und der legitime Körper werden unter dieser Perspektive nicht mehr so scharf konturiert. Aber auch das so oft beschwörte indexikale ‚Wesen’ der Fotografie erscheint in der Konfrontation mit der Montagetechnik weniger selbstverständlich.