Ausgabe #10 (Januar 2013)

Zu dieser Ausgabe
Ästhetiken des Masochismus. Die 120 Tage von Sodom bei de Sade und Pasolini. Nico Dunczyk
Ganz schön schwanger. Schönheitspraktiken und Körpertechnologien in der Schwangerschaft. Carina Kötter, Mareike Meis
Zeitgenössische Praktiken von Subjektivierung. Konsumismus, Kybernetischer Kapitalismus und Repräsentationskritik in Anschluss an Tiqquns Figur der Jungen-Mädchen. Jasmin Degeling
Eine Situation öffentlich zu beschreiben, kann schon Kritik sein. Ein Gespräch über feeling bad, neue Koalitionen und die Notwendigkeit, sich verletzlich zu zeigen. Anja Michaelsen, Karin Michalski


 

Zu dieser Ausgabe

 

Ästhetiken des Masochismus. Die 120 Tage von Sodom bei de Sade und Pasolini

Nico Dunczyk

Salò ist der letzte und zugleich skandalträchtigste Film Pier Paolo Pasolinis. Ausgehend vom berüchtigten Romanfragment Die 120 Tage von Sodom, welches der Marquis de Sade 1785 in Gefangenschaft verfasste und in die Zeit des ausgehenden Zweiten Weltkriegs transponierte, wird der Film häufig als Höhepunkt der Faschismus- und Konsumismuskritik Pasolinis betrachtet. Der Artikel bietet zu sowohl Sades als auch Pasolinis Fassung der 120 Tage von Sodom einen alternativen Zugang entgegen üblicher Leserichtung, welcher sich den Themen psychoanalytisch nähert und darauf abzielt, zugrundeliegende Darstellungsmechanismen einer Ästhetik des Masochismus zuzuordnen. Die Relektüre Sades versteht sich als Gegenargument zum Vorwurf der Pornographie und die Analyse Pasolinis skizziert dessen Standpunkt zu seinem eigenen Werk als komplexer – und pessimistischer – als das übliche Verständnis dies vorsieht.

Ganz schön schwanger. Schönheitspraktiken und Körpertechnologien in der Schwangerschaft

Carina Kötter, Mareike Meis

In der Schwangerschaft werden Frauen angesichts der damit einhergehenden körperlichen Veränderungen verstärkt zur Arbeit am eigenen Körper aufgerufen. Die Bedeutung je historisch spezifisch weiblicher Schönheitsideale und damit verbundener Körpertechnologien sowie Modepraktiken in der Schwangerschaft wird beispielhaft in der Gegenüberstellung zweier Modefotografien aus den 1960ern und der Gegenwart untersucht, wobei Fotografie als regulierendes und stabilisierendes Repräsentationssystem begriffen wird. Es zeigt sich, dass eine in der Vergangenheit vorherrschende Kaschierung des schwangeren Körpers heute durch eine Ausstellungspraxis abgelöst wird, die erst durch die Anwendung von etablierten Körpertechnologien wie gesunder Ernährung und Fitness möglich wird.

Zeitgenössische Praktiken von Subjektivierung. Konsumismus, Kybernetischer Kapitalismus und Repräsentationskritik in Anschluss an Tiqquns Figur der Jungen-Mädchen

Jasmin Degeling

Ausgang dieser Überlegungen ist die 2009 auf deutsch erschienene Collage Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens, deren Autor Tiqqun heißt – womit entweder ein unabhängig veröffentlichtes, vergriffenes Textkonglomerat gemeint ist oder eine Gruppe Pariser Aktivist/innen. Der Theorieentwurf beschreibt eigentlich keine Figur, sondern kartographiert ein Dispositiv von Äußerungen, Semantiken, Beschreibungsweisen und Bildern, welches eine spezifische Subjektivierungsweise hervorbringt. Diese ist vermarktungswillig und libidoökonomisch: Sie affirmiert unsere konsumistischen Bilderwelten und überträgt den von Marx beschriebenen Fetischcharakter der Ware auf die Art und Weise zeitgenössischer Selbsteinrichtungen und Selbst-Körper-Verhältnisse.

Eine Situation öffentlich zu beschreiben, kann schon Kritik sein. Ein Gespräch über feeling bad, neue Koalitionen und die Notwendigkeit, sich verletzlich zu zeigen

Anja Michaelsen, Karin Michalski

In The Alphabet of Feeling Bad (2012) zeigt die Künstlerin und Filmemacherin Karin Michalski ein experimentelles Interview mit der Theoretikerin und Aktivistin Ann Cvetkovich. In ihrer Performance erläutert Cvetkovich von A bis Z Begriffe wie Depression, aber auch alltägliche Formen des feeling bad, wie die Vorstellung, in einer Sackgasse zu stecken, sich gelähmt zu fühlen und von Anforderungen überwältigt zu sein, und versieht sie mit neuen Bedeutungen. Anschließend an Arbeiten queer-feministischer Theoretiker/innen und Aktivist/innen, neben Cvetkovich etwa Sara Ahmed, Heather Love und Lauren Berlant, wird feeling bad nicht als individuelles Versagen verstanden, sondern als kollektive „public feelings“, im Kontext von neoliberalen Arbeitsverhältnissen, Homophobie und Rassismus. Im Dezember 2012 hat Michalski im C60 Collaboratorium, Bochum, auf Einladung von Anja Michaelsen und Astrid Deuber-Mankowsky ihre Arbeit und drei weitere experimentelle Videos vorgestellt. Im Anschluss an die Abendveranstaltung haben sich Anja Michaelsen und Karin Michalski zu einem Gespräch getroffen, um die Diskussion zur Darstellbarkeit und Sagbarkeit des feeling bad und zu dessen politischem Potenzial fortzuführen.