Ausgabe #19 (Juli 2017)

Regretting Womanhood. Bereuen gegen Normalisierung Nicole Kandioler
Outlast und Cry of Fear. Zum queeren Potenzial des Survival Horrors im Videospiel 
Nicolai-Alexander Michalek
Daten erobern den Fußball. Zum Einsatz von Big Data in der Allianz Frauen-Bundesliga 
Charlotte Braun
Essays zum Tribunal NSU-Komplex auflösen Teilnehmer_innen des Seminars Antirassistische Protestvideos

Radiofeature zum Tribunal NSU-Komplex auflösen Jasmin Brock 
Zwischen Repräsentationskritik und Aktivismus. Ein Bericht zum Symposium Queer Exhibitions / Queer Curating, 19./20. Mai, Museum Folkwang, Essen Philipp Hohmann


Zu dieser Ausgabe

Die #19 des onlinejournal kultur & geschlecht hat einen Schwerpunkt in den Queer Studies. Es geht um „Geschlechtsumwandlungen“, queere Computerspiele und queeres Kuratieren. Teil der Ausgabe ist, neben regulären Artikeln, ein Tagungsbericht, sowie Essays und ein Radiofeature zu einer Exkursion zum Tribunal NSU-Komplex auflösen. Wir freuen uns auch ganz besonders über einen Gastbeitrag.

In Regretting Womanhood. Bereuen gegen Normalisierung, dem Gastbeitrag von Nicole Kandioler (Bauhaus-Universität Weimar), widmet sich die Autorin dem Film Regretters (S 2009, R: Marcus Lindeen) und der komplizierten Frage, was es bedeutet, eine Geschlechtsumwandlung zu bereuen. Strukturell wirft der Film die Frage auf, was es heißt, ‚sich selbst’ zu spielen. Inwiefern erfordert eine gelungene Selbstdarstellung eine Reflexion gelungener/scheiternder Genderperformance?

Nicolai-Alexander Michalek stellt in Outlast und Cry of Fear. Zum queeren Potenzial des Survival Horrors im Videospiel ein Computerspiel-Genre vor, das sich dadurch auszeichnet, keinen Spaß zu machen, weil es kontinuierlich Angst oder Frustration produziert. Michalek diskutiert Survival Horror als Herausforderung für konventionelle Vorstellungen vom Spieler als Helden, d.h. als Verkörperung heteronormativer Männlichkeit. Der Autor überträgt Lee Edelmans No-Future als „No-Fun“ auf Survival Horror und deutet auf ein potenziell queeres Spielerlebnis hin.

Nachdem sich Charlotte Braun bereits im onlinejournal mit dem Einfluss von Big Data auf den professionellen Männer-Fußball (Ausgabe #15 2015) beschäftigt hat, befragt sie nun in Daten erobern den Fußball Trainer_innen der Frauen-Bundesliga zur Technologisierung des Frauen-Fußballs. Die Trainer_innen äußern sich uneinheitlich und auch kritisch zu den Möglichkeiten der Datenerhebung und ihrer Auswertung.

Die Essays sind im Anschluss an eine studentische Exkursion zum Tribunal NSU-Komplex auflösen, 17.-21. Mai 2017 im Schauspiel Köln, entstanden. Sie vermitteln Beobachtungen und Reflexionen zur Partizipation der Zuschauer_innen (Franziska Hesse/Silvana Schmidt), zur Bedeutung der Übersetzer_innen (Tania Berlanda/Sandra Kero), zur Ästhetik (Christina Runge), zur Haltung der Betroffenen (Madeline Doneit) und zur Möglichkeit der Kritik (Nico Alter). Im Radiofeature (Jasmin Brock), das für ct das Radio, das Campusradio der RUB, entstanden ist, sind O-Töne vom Tribunal und Interviews mit einigen Teilnehmer_innen der Exkursion zu hören.

Philipp Hohmann berichtet in Zwischen Repräsentationskritik und Aktivismus vom international besetzten Symposium Queer Exhibitions / Queer Curating, das am 19. und 20. Mai 2017 am Museum Folkwang in Essen stattgefunden hat. Die Repräsentationsfrage, so stellt der Autor fest, bestimmt weiterhin maßgeblich Ausstellungspolitiken. Häufig verschwinden queere Biografien und Inhalte, auch bei explizit queeren Künstler_innen. Was macht eine queere Ausstellung aus? Welche Rolle spielen dabei Aktivismus, Theoriearbeit und Alternativen zum White Cube?

Regretting Womanhood. Bereuen gegen Normalisierung

Nicole Kandioler

Eine Radiosendung über Reue, ein Theaterstück über die Wirklichkeit post operationem und ein Dokumentarfilm mit zwei Schauspielern, die sich selbst spielen. Regretters spannt ein fein ziseliertes Netz aus medial gespiegelten Trans-Identitäten. Dennoch geht es in Regretters weniger um Transsexualität als um die Wirkmächtigkeit von Heteronormativität. Inwiefern lässt sich des Scheitern als Ort feministischer Kritik lesen? Welchen Handlungsspielraum räumt das Bereuen ein? Was sind die Devianzpotenziale der transsexuellen Grenzüberschreitung hinsichtlich des Trends zum ,flexiblen Normalismus. Inwiefern entlarvt Regretters eine neoliberale Sozialisationskultur, die das Projekt der geschlechtlichen Selbstverwirklichung der Verantwortung jedes/jeder Einzelnen überlässt?

Outlast und Cry of Fear. Zum queeren Potenzial des Survival Horrors im Videospiel 

Nicolai-Alexander Michalek

Computerspiele operieren häufig unter der Voraussetzung eines heteronormativen Männlichkeitsideals. Dieses Ideal beinhaltet ein spezifisches Verständnis von Spielspaß, das scheinbar nur greift, wenn positive emotionale Zustände durch Dominanz im Wettkampfgeschehen ausgelöst und somit heteronormative, ‚männliche’ Charakteristika wie physische Stärke oder Durchsetzungsvermögen für die Spielenden affirmiert werden. Spiele, die diesem Verständnis von Spaß und Konkurrenzdenken zuwiderlaufen und die vor allem negative Emotionen des Versagens („No Fun“) hervorrufen, werden im Umkehrschluss häufig als fehlerhaft und ‚schlecht designed’ angesehen. Lässt sich dem entgegenhalten, dass diese Spiele die Chance bieten, aus eben jenem binären Verständnis von Spaß und Spiel auszubrechen? Besteht in ihnen ein queeres Potenzial? Der vorliegende Artikel möchte anhand von zwei Beispielen aus dem Genre der Survival Horror Spiele, Outlast und Cry of Fear, dieser Idee von „No Fun“ nachgehen und untersuchen, welche alternativen Erfahrungen von Spaß und Männlichkeit abseits der heterosexuellen Norm sie ermöglichen. 

Daten erobern den Fußball. Zum Einsatz von Big Data in der Allianz Frauen-Bundesliga

Charlotte Braun

Die Studie „Verlust von Distanz“ ist von Charlotte Braun durchgeführt worden. Ihr Ziel ist es, aufzudecken, inwieweit das Phänomen „Big Data“ im Frauenfußball angekommen ist. Es soll offengelegt werden, ob und in welchem Maße die zwölf Vereine der Allianz Frauen-Bundesliga mit Videomaterial und Statistiken arbeiten und ob sich dadurch das Verhältnis zwischen Trainer_in und Spielerin verändert: Kommt es zu einem Verlust von Distanz? Kommt es durch die Systemoptimierung zu einer Objektivierung des Spiels?
Um Fragen wie diese beantworten zu können, werden Interviews mit den Trainer_innen der Frauenfußballmannschaften der 1. Liga geführt.

Essays zum Tribunal NSU-Komplex auflösen

Teilnehmer_innen des Seminars Antirassistische Protestvideos

Studierende der Medienwissenschaft und der Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum haben im Rahmen einer Exkursion des Instituts für Medienwissenschaft, unter Leitung von Anja Michaelsen, am Tribunal NSU-Komplex auflösen, 17.-21. Mai 2017 im Schauspiel Köln und an verschiedenen dezentralen Orten in Köln, teilgenommen und in Essays ihre Eindrücke zur Inszenierung und den politischen Inhalten formuliert. Ein bundesweites Bündnis aus antirassistischen Initiativen, Einzelpersonen und Betroffenen, Überlebenden und Angehörigen, der NSU-Mord- und Anschlagserie hatte die mehrtägige Veranstaltung organisiert, um die Leerstelle zu füllen, die der sogenannte NSU-Prozess am Münchner Oberlandesgericht hinterlässt. Da dieser nicht die erhoffte „lückenlose Aufklärung“ leistet, haben es sich die Organisator_innen des Tribunals zur Aufgabe gemacht, durch Workshops, Konzerte, Videos, Theaterstücke, Ausstellungen und ein diskursives Hauptprogramm, Rassismus in seinen institutionellen, strukturellen und gesellschaftlichen Dimensionen zu verdeutlichen und vor allem, den Betroffenen einen Rahmen zu bieten, innerhalb dessen ihnen von einer großen Öffentlichkeit zugehört wird. Die deutsche Migrationsgeschichte, Nazistrukturen, die staatliche Involvierung, die Bedeutung der Medien, der Prozess und die zahlreichen und langjährigen Kämpfe antirassistischen Widerstands wurden, häufig ausgehend von Zeug_innenberichten, diskutiert. Abschließend wurde eine Anklageschrift vorgestellt, die umfassend den rassistischen Strukturen des NSU-Komplex’ Rechnung trägt. Die vollständige Anklage ist auf der Website des Tribunals http://www.nsu-tribunal.de/ nachzulesen.
Einige der im Anschluss an das Tribunal entstandenen Essays, zur Partizipation der Zuschauer_innen im Hauptprogramm (Franziska Hesse/Silvana Schmidt), zur zentralen Bedeutung der Übersetzer_innen (Tania Berlanda/Sandra Kero), zum Einsatz visueller, performativer Mittel (Christina Runge), zur von Seiten der Betroffenen geäußerten Dankbarkeit gegenüber den Anwesenden (Madeline Doneit) und zur Möglichkeit der Kritik innerhalb der Veranstaltung selbst (Nico Alter), können hier nachgelesen werden. Zugleich ist ein Radiofeature (Jasmin Brock) für ct das Radio, das Campusradio der RUB, mit O-Tönen vom Tribunal und Interviews mit einigen Teilnehmer_innen der Exkursion entstanden, welches hier ebenfalls angehört werden kann.

Radiofeature zum Tribunal NSU-Komplex auflösen

Jasmin Brock

Zwischen Repräsentationskritik und Aktivismus. Ein Bericht zum Symposium Queer Exhibitions / Queer Curating, 19./20. Mai, Museum Folkwang, Essen

Philipp Hohmann

Der Tagungsbericht gibt einzelne Positionen des Symposiums Queer Exhibitions / Queer Curating, das am 19./20. Mai 2017 am Museum Folkwang in Essen stattfand, wieder. Besonders hervorgehoben werden Fragen der Repräsentation und Widerständigkeit von Queerness im Kunstkontext, in Bezug auf queeres Kuratieren, Aktivismus und die Problematik des White Cubes. Der Verlauf des Symposiums und seine allgemeinen Herausforderungen werden kommentiert.