Ausgabe #27 (August 2021)

Der Anspruch Deutsch zu sein Beria Barlik
Chicanx, queer, warrior*ess – Cherrie L. Moraga’s Mexican Medea Barbara Bollig
Frauen und Rechte – Femonationalismus in Deutschland Victoria Bulla
Zur filmischen Erfahrbarkeit nicht sichtbarer Gewalt Hannah Hummel
Videobeitrag: Wie gestaltet das Internet unsere (geschlechtlichen) Realitäten? Jasmin Degeling und Sarah Horn


Zu dieser Ausgabe

Die Sommerausgabe #27 des onlinejournal kultur&geschlecht knüpft an die vorangegangene Ausgabe und ihre Schwerpunkte an und befasst sich in andauernder Aktualität des Themas mit struktureller Gewalt, insbesondere mit differenten Erscheinungsformen von Rassismus und seiner intersektionalen, gendersensiblen Analyse und Kritik in literatur- und medienwissenschaftlichen sowie soziologischen Perspektiven: So leisten die Beiträge Analysen von zeitgenössischen Phänomenen wie Femonationalismus, Neofaschismus, Rechtsterrorismus, Rassismus und Misogynie und fragen je kritisch danach, inwiefern Darstellungen und Ästhetiken daran mitarbeiten, Gewaltstrukturen zu verstärken oder zu überwinden.

Beria Barlik stellt die wichtige Frage, ob sich ,nach Hanau’ eine Veränderung in der Berichterstattung über rechte und rassistische Gewalt beobachten lässt, die den Fokus auf die Erfahrung Betroffener richtet und sich für die Reproduktion von Gewalt durch eine Fixierung auf die Täter*inperspektive sensibilisiert. Ihr Beitrag diskutiert die Frage danach, was es heißt, Deutsch zu sein, unter der Bedingung der Erfahrung rechten und rassistischen Terrors in der BRD.

Die Aneignung feministischer Themen durch rechte politische Akteur*innen zeigt Victoria Bullas Artikel am Beispiel von Wahlplakaten der Partei AfD: Mittels des Konzepts des sogenannten Femonationalismus wird deutlich, dass nationalistisch-rassistische, aber mitunter auch liberale politische Agenden gerade durch einen spezifischen Diskurs von Frauenrechten mobilisiert werden.

In einer genauen Analyse der queeren Ästhetik von Cherríe L. Moraga’s Mexican Medea lotet Barbara Bollig das utopische Potential für eine feministische und antirassistische, mesoamerikanische Selbstemanzipation im Medium mythologischer Darstellung aus.

Auch Hannah Hummels Überlegungen gelten einer Ästhetik, die rassistische und misogyne Gewalt in ihrer Darstellung überwindbar erscheinen lässt: Anhand von Vika Kirchenbauers UNTITLED SEQUENCE OF GAPS sowie des Videos Obscure White Messenger von Penny Siopis analysiert der Beitrag opake und obskure Ästhetiken als Möglichkeit der Unterbrechung von medialer Gewaltreproduktion.

Der Videobeitrag von Sarah Horn und Jasmin Degeling vollzieht eine beispielhafte Analyse des Konzepts von Opulenz der Videobloggerin Natalie Wynn (ContraPoints), um die darstellungspolitische Dimension der Ko-Konstitution von Gender, Race und Class aus der Perspektive der Gender Media Studies zu zeigen. Der Beitrag ist im Auftrag des Fachtags ,Impulse – für queeres Leben in NRW’ entstanden.

Der Anspruch Deutsch zu sein

Beria Barlik

Der folgende Beitrag befasst sich mit der der Kontinuität rechter Gewalt und der Berichterstattung über rassistische Attentate und hat dabei insbesondere die Opfer, Familien und Angehörigen im Blick. Das Hauptthema ist hierbei der Anschlag in Hanau, welcher am 19.02.2020 verübt wurde. Da der Täter bei diesem Anschlag auch mit einem rassistischen Motiv gehandelt hat, war es besonders relevant innerhalb der Untersuchungen die Berichterstattung über Menschen mit einem Migrationshintergrund zu analysieren. Der Beitrag fasst wesentliche Untersuchungsergebnisse zur beobachteten Diskursverschiebung in der medialen Berichterstattung über rechte Gewalt in Deutschland zusammen.

Frauen und Rechte – Femonationalismus in Deutschland

Victoria Bulla

Femonationalismus – ein neuartiges Konzept, gefunden im altbekannten Kreis rechter Parteien. Sara R. Farris untersucht die rechte politische Szene in Frankreich, Italien und den Niederlanden auf gezielte Instrumentalisierung feministischer Thesen zur Mobilisierung gegen den muslimischen Mann. Ihre Ergebnisse sind eindeutig: Unter dem Mantel vermeintlich progressiver Thematisierung von Frauenrechten verbirgt sich anti-islamisches Gedankengut. Kann dieses Phänomen auch in Deutschland beobachtet werden? Exemplarisch wird in diesem Artikel visuelles Wahlkampfmaterial der Partei Alternative für Deutschland analysiert. Damit erweitert der Artikel Farris‘ theoretisches Konstrukt um eine deutsche Perspektive.

Chicanx, queer, warrior*ess – Cherrie L. Moraga’s Mexican Medea

Barbara Bollig

Cherríe L. Moraga’s Mexican Medea intertwines the ancient Greco-Roman myth of sorceress, princess, lover and mother Medea with several of her Mesoamerican mythological sisters such as La Llorona, Coatlicue, Coyolxauhqui, and the ancestral homeland of Aztlán. The play unravels a hauntingly realistic dystopia about Chicanx rights, oppression, the transgression of borders, and the displacement of a people due to their identity and activism. Universal motifs in individual stories of forced migration, a Third World Feminist quadruple suppression on processes of individuation, and reactionary systemic violence are highlighted and manifested in the catastrophic failures of Medea and her sisters.

Zur filmischen Erfahrbarkeit nicht sichtbarer Gewalt

Hannah Hummel

Können filmische Gewaltdarstellungen über die Wiederholung der Gewalt und damit deren Bestätigung und Verstärkung hinausgehen? Dieser Frage geht der Artikel am Beispiel des zwölfminütigen Essayfilms UNTITLED SEQUENCE OF GAPS der Regisseurin Vika Kirchenbauer und des fünfzehnminütigen Videos Obscure White Messenger der Künstlerin Penny Siopis nach. Beide Filme machen Gewaltstrukturen erfahrbar, die sich insbesondere durch ihre Unsichtbarkeit in der Gegenwart auszeichnen. In den Filmen wird eine Darstellung für diese Form von Gewalt gefunden, die sie zugleich als überwindbar erscheinen lässt.

Videobeitrag: Wie gestaltet das Internet unsere (geschlechtlichen) Realitäten?

Jasmin Degeling und Sarah Horn

Das Verhältnis von Medien, Geschlecht und Race lässt sich nicht allumfassend beschreiben, sondern ist jeweils zu bestimmen. Aus queertheoretischer Perspektive bedeutet dies, insbesondere die machtvollen und ausschließenden Effekte der Herstellung von (kollektiven) Identitäten zu adressieren und ihre Mediatisierung zu politisieren. Die trans* Aktivistin und YouTuberin Natalie Wynn aka ContraPoints unternimmt aus ihrer eigenen Situierung in digitalen Medien heraus den Versuch, im Medium des Videoblogs die intersektionale Durchdringung von Medien, Macht, Geschlecht, Race und Class zu analysieren und emanzipativ darauf zuzugreifen. Ihre Lektüre des Musikvideos „Apeshit“ von The Carters in ihrem Video „Opulence“ dient als Ausgangspunkt, um nach zeitgenössischen widerständigen Medienstrategien in digitalen Räumen zu fragen. Dieser Videobeitrag ist für den Fachtag ,Impulse – für queeres Leben in NRW‘ und im Auftrag des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW entstanden.