Melancholie und Identität in dem Film I’m Not There von Todd Haynes Angela Rabing
Vlogging Asexuality. Beobachtungen zum subversiven Potential von medienästhetischen ‚Spielereien‘ Nadine Dannenberg
Kollektive Handlungsermächtigung in der postfordistischen Stadt: Wohnungsnot und Aktivismus am Beispiel der spanischen PAH José Herranz
„Geruchswahrnehmung aus der Luft ist meines Wissens nach gestattet.“ Daten, Drohnen, Drogenfahndung am Beispiel des Cannachoppers Carolin Rolf, Mary Shnayien
Die eigenen Voraussetzungen befragen. Rezension: Kathrin Peters, Andrea Seier (Hg.): Gender & Medien-Reader. Diaphanes, Zürich-Berlin 2016 Sarah Horn
Zu dieser Ausgabe
Die 17. Ausgabe des onlinejournal kultur & geschlecht hat mit Beiträgen zu Film, YouTube-Videos, Kartographie und Drohnen einen medienwissenschaftlichen Schwerpunkt. Mit wissenschaftlichen Artikeln, einem Feature und einer Rezension bietet die Ausgabe erneut diverse Textformate an. Thematisch nehmen die Autor_innen queere identitätspolitische Darstellungen – vom Verschwinden melancholischer Männlichkeit und des Coming Outs als asexuell – in den Blick. Mediatisierung – in Form von Drohnenpräsenz und digitaler Kartographie – wird als Überwachungstechnologie, aber auch als wesentliches Element politischen Widerstands diskutiert.
Als ästhetisch-identitätstheoretisches Konzept untersucht Angela Rabing „I’m-not-there-ness“ in Todd Haynes’ Biopic I’m Not There. Die Autorin deutet die filmische Strategie des Multiplizierens der Figur des Bob Dylan als zugleich queere Form des Verschwindens, mit der politische und ästhetische Eigenschaften des New Queer Cinema in Hinblick auf Narration, Genre und Identifikation weiterentwickelt werden. In Referenz auf Judith Butlers Konzept melancholischer Heterosexualität, sowie, kontrastierend, auf Edgar J. Forsters Verständnis einer melancholischen heterosexuellen Männlichkeit, veranschaulicht Rabing, wie Haynes in zugespitzter Weise die Vorstellung eines kohärenten Genres und damit einhergehend eines kohärenten Selbst destabilisiert.
Nadine Dannenbergs Analysegegenstand ist das YouTube-Video des Vloggers HeyoDamo Coming out as asexual. Am Beispiel des Videos erkennt die Autorin darin nicht nur eine „queere Abweichung von einem (hetero-)normativen Sexualbegehren“, sondern „noch viel weitreichender eine darunterliegende, bislang kaum problematisierte sexualnormative Struktur“, die im Video infrage gestellt werde. Diese erkenntnistheoretische Herausforderung wird, so Dannenberg, mit einer ästhetischen und narrativen, auf Konventionen des Videospiels referierenden ‚Verspieltheit’, begegnet, die mit dem potentiell irritierenden Inhalt korrespondiert.
Wie ist kollektiver Widerstand möglich, trotz und durch gegenwärtige wirtschaftliche und soziale Zwänge? José Herranz geht dieser Frage am Beispiel der spanischen Plattform der Betroffenen durch die Hypothek (PAH) und ihrer subversiven Handlungsstrategien angesichts der spanischen Immobilienkrise und Wohnungsnot nach. Als „Antwort auf die strategische Ohnmacht und Alternativlosigkeit der staatlichen Institutionen in einem Kontext der postfordistischen Prekarität“ bezieht Herranz die Strategien der PAH, von kollektiver Beratung bis zu kritischer Kartographie leer stehender Wohnungen, auf Maurizio Lazzaratos medientheoretisch gefassten Vorschlag, politische Widerständigkeit an der Schnittstelle zwischen sozialer Unterwerfung und maschinischer Indienstnahme zu verorten.
Die Geschichte der niederländischen Überwachungsdrohne, des „Cannachopper“, erzählen Carolin Rolf und Mary Shnayien in ihrem Beitrag, der auf einem Radio-Feature basiert. Das polizeiliche Instrument in der Bekämpfung von Hanfanbau wird in seinen Verflechtungen von Sicherheitsphantasien, Überwachungsdystopien, Ökonomie, medialer Berichterstattung und widerständigen Bürger_inneninitiativen untersucht und die Gleichzeitigkeit von Big Data und scheiternder Technologie veranschaulicht.
Abschließend bespricht Sarah Horn in ihrer Rezension den in diesem Jahr bei Diaphanes erschienenen, von Kathrin Peters und Andrea Seier herausgegebenen, Gender & Medien-Reader. Sie hebt vor allem hervor, dass der Reader die politischen Implikationen im Verhältnis Medien und Gender in den Blick nimmt.
Melancholie und Identität in dem Film I’m Not There von Todd Haynes
Angela Rabing
Melancholie steht im Zusammenhang mit sozialen Zwängen und Konventionen bezüglich der Identitätsbildung. Die Figuren in den Filmen von Todd Haynes zeigen mögliche Entwürfe jenseits von heteronormativen Identitätsbildern. In I’m Not There entwickelt er eine Biografie des Musikers Bob Dylan in Fragmenten und an den Rändern hegemonialer Männlichkeit. Die so entworfenen (un)möglichen Männlichkeits- und Identitätskonzepte lassen sich als queer und melancholisch beschreiben und zeigen, wie Melancholie die Grenzen binärer und hierarchischer Strukturen unterläuft.
Vlogging Asexuality. Beobachtungen zum subversiven Potential von medienästhetischen ‚Spielereien‘
Nadine Dannenberg
Der vorliegende Beitrag fragt anhand eines „Coming Out as asexual“-vlogs ob, und wenn ja inwiefern, asexuelle Individuen im Kreuzfeuer von Geständniszwang und permanenter Überwachung eine (potentiell widerständige) Handlungsmacht finden und artikulieren können, wobei das Augenmerk vor allem auf narrative und ästhetische Spielereien gerichtet sei. Im Rückgriff auf Grundthesen einer queer theory offenbart sich in diesem Zuge nicht nur ein heteronormatives Zeichensystem als ungemein wirkmächtig, sondern es wird darüber hinaus eine noch viel weitreichendere sexual-normative Struktur offen gelegt, die ein Denken – und vor allem ein Repräsentieren – von Asexualität nahezu verunmöglicht.
Kollektive Handlungsermächtigung in der postfordistischen Stadt: Wohnungsnot und Aktivismus am Beispiel der spanischen PAH
José Herranz
Inwieweit werden Menschen, deren Verwundbarkeit eine Folge struktureller sozio-ökonomischer, politischer und technischer Veränderungen ist, durch kollektive Handlungsermächtigungen selbst zur Ursache für die Einleitung politischen, sozialen und technischen Wandels? Inwiefern entziffern sie im Akt des Widerstands Subjektivierungsmechanismen, die an den Intersektionen der sozialen Unterwerfung und der maschinischen Indienstnahme operieren? Um sich den Antworten auf diese Fragen anzunähern, wird das Beispiel der Plattform der Betroffenen der Hypothek (PAH) in Spanien herangezogen. Erste Überlegungen zum Kartierungsprojekt der PAH werden dazu dienen, die Widerständigkeit der PAH mit Bezug auf Maurizio Lazzaratos Thesen über die Rolle der politischen Aktion im Postfordismus zu betrachten. Um die Kontextualisierung zu erleichtern, werden einführend die Entstehung der Initiative sowie einige ihrer Methoden und Strategien skizziert.
„Geruchswahrnehmung aus der Luft ist meines Wissens nach gestattet.“ Daten, Drohnen, Drogenfahndung am Beispiel des Cannachoppers
Carolin Rolf, Mary Shnayien
Big Data als Technik und Analyseinstrument gesellschaftlicher und ökonomischer Zusammenhänge dringt in weite Bereiche des Alltags vor, obgleich die Folgen dieser neuen Technik noch nicht absehbar sind. In diesem Zusammenhang gewinnen auch Drohnen als unterstützender Teil polizeilicher Ermittlungsverfahren immer mehr an Bedeutung. Eine dieser Drohnen ist der Cannachopper, der, begünstigt durch eine Gesetzeslücke, im April 2009 von der niederländischen Polizei eingesetzt wurde, um illegale Hanfplantagen ausfindig zu machen. Der Artikel kann als Ergänzung zum im Anhang befindlichen Skript des gleichnamigen Radiofeatures gelesen werden und situiert den Cannachopper in einem Gefüge aus Begehren und Wünschen nach Sicherheit, effizienter und kostengünstiger Polizeiarbeit und der Dystopie von totaler Überwachung.
Die eigenen Voraussetzungen befragen. Rezension: Kathrin Peters, Andrea Seier (Hg.): Gender & Medien-Reader. Diaphanes, Zürich-Berlin 2016
Sarah Horn
Gibt man ‚Gender‘ und ‚Medien‘ in die Suchmaske einer Bibliotheksdatenbank ein, ist der Gender & Medien-Reader, 2016 herausgegeben von Kathrin Peters und Andrea Seier, wahrlich nicht der einzige Treffer, der einen Überblick zu oder eine Einführung in Methoden und Theorien der Disziplinen um diese Wissenskategorien verspricht. Aber er sticht heraus: Zum einen versammelt er zahlreiche für die Medienwissenschaft wie die Gender Studies einschlägige Primärtexte und kontextualisiert sie über hilfreiche Einführungen. Zum anderen liegen viele der Auszüge mit dieser Herausgabe zum ersten Mal in deutscher Sprache vor. Damit liefert der Reader nicht nur eine fundierte Orientierung für Interessierte, sondern erleichtert auch den Einstieg in prägende Diskurse und Theorien um Medien und Gender.