Ausgabe #22 (Januar 2019)

“I´m not a nigger, I´m a man.” Intricacies of Masculinity and Race in Raoul Peck´s I Am Not Your Negro Paulena Müller
An der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion: Migration als Diskursfeld in Chantal Akermans
De l‘autre côté Hannah Hummel
Life is Strange – ein „Game for Change“? Nicola Przybylka
„Grooming for Guys“ – Männliches Schönheitshandeln in Barber Shops Stefanie Raible
Reproduktion des Ungeborenen. Zwei Sammelbände beschäftigen sich mit den sichtbaren und
unsichtbaren Konsequenzen der Schwangerschaft Stephanie Heimgartner, Simone Sauer-Kretschmer


Zu dieser Ausgabe

Diese Ausgabe dokumentiert mit fünf Beiträgen aus Amerikanistik, Cultural Studies, Filmwissenschaft, Games Studies, Soziologie und Literaturwissenschaft die Breite und inhärente Interdisziplinarität der Themen und Felder der Gender Studies. Bemerkenswert ist ebenso deren politische Aktualität: So adressieren die Beitragenden mit Fragen nach Männlichkeiten, Grenzziehungen, Reproduktionsrechten und sexueller Gewalt auf je spezifische Weise ein ganzes Spektrum drängender, zeitgenössischer Repolitisierungen, die sich aus der Perspektive der Gender Studies aufdrängen.

In „»I‘m not a nigger, I‘m a man«“ diskutiert Paulena Müller anhand von Raoul Pecks dokumentarischem Essayfilm über James Baldwin, I Am Not Your Negro, die komplexen Verstrickungen von Rassismus, Geschlecht und Sexualität: Sind die Protagonisten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung für ihre radikale Rassismuskritik auf eine patriarchale Dividende angewiesen?

Hannah Hummels Beitrag fragt mit Chantal Akermans Film De l‘autre côté über das Verhältnis von Migration und Grenzziehungen zwischen den USA und Mexiko nach der Grenze von Dokumentation und Fiktion, und arbeitet damit die politische Aktualität von Akermans Filmästhetik heraus.

Nicola Przybylka problematisiert das Verhältnis von Gender und Gaming am Beispiel des interaktiven Story-Games Life is Strange: Der Beitrag fragt nach neuen technischen und ästhetischen Möglichkeiten, weibliche Subjektivierung, Sexualität und sexuelle Gewalt im bislang männlich dominierten Medium des Computerspiels kritisierbar zu machen.

Ebenfalls einer Kritik der Herstellung zeitgenössischer, allerdings weißer und bürgerlicher Männlichkeiten widmet sich Stefanie Raibles Beitrag über das Phänomen der steigenden Beliebtheit sogenannter Barber Shops als männlicher Wellness-Oasen und Räumen homosozialer Selbstvergewisserung.

Die Rezension von Stephanie Heimgartner und Simone Sauer-Kretschmer rückt anhand zweier neuer Sammelbände den Nexus von Schwangerschaft, Reproduktiven Rechten und Biopolitiken in den Vordergrund. Dabei macht die Auswahl eines literaturwissenschaftlichen Bandes mit philosophisch-wissensgeschichtlichem Zugang und einem an populären Phänomenen interessierten, medienkomparatistischen die Aktualität wie historische Tiefendimension der Thematik deutlich.

“I´m not a nigger, I´m a man.” Intricacies of Masculinity and Race in Raoul Peck´s I Am Not Your Negro

Paulena Müller

Raoul Peck´s 2016 movie I Am Not Your Negro shows the relevance of American author James Baldwin´s thinking with regard to current racism issues in the USA. With a narration only out of Baldwin´s texts, it provides insight in Baldwin´s involvement in the Civil Rights Movement and his deconstructive analysis of race as a power structure. The article examines how this deconstruction of white supremacy intersects with gender, focusing specifically on the depiction of masculinity in reference to Raewyn Connell´s model of hegemonic masculinity. It is argued that hegemonic masculinity simultaneously serves as a potential target of power deconstruction and a tool to overcome racial oppression.

An der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion: Migration als Diskursfeld in Chantal Akermans
De l‘autre côté

Hannah Hummel

Chantal Akermans De l’autre côté spürt die Gewaltverhältnisse an der Grenze zwischen Mexiko und den USA entlang der beiden Städte Agua Prieta und Douglas sowie der Wüstenregion nördlich von Douglas auf. Die Akteur_innen des Grenzgebiets befinden sich in einer traumatischen Gegenwart zwischen Erinnerung und Realität, Sichtbarem und Unsichtbarem, sowie Stasis und Bewegung. Der Artikel beleuchtet den Differenzcharakter von De l’autre côté gegenüber den klassischen Kategorien von dokumentarischem, fiktionalem und strukturellem Film und zeigt auf, wie Akermans spezifische Filmästhetik ihren Bildern politische Wirkmächtigkeit verleiht, indem sie den Moment des illegalisierten Grenzübertritts auf eine nicht-sichtbare Wahrnehmungsebene der Betrachter_in verschiebt. Es wird dargestellt, wie De l’autre côté in seiner filmischen Rhetorik der Gegensätzlichkeit eine sich von der Grenzmauer aus auf die umliegenden Gebiete ausweitenden Brutalität evoziert und Migration auf komplexe Weise als Diskursfeld begreiflich macht.

Life is Strange – ein „Game for Change“?

Nicola Przybylka

Digitale Spiele sind heutzutage nicht mehr aus der Medien- und Kulturlandschaft wegzudenken. Mit dem Motto „Vielfalt gewinnt“ untermauerte die Gamescom 2018 die Diversität und Liberalisierung ihrer Produkte und Community. Trotz eines aufstrebenden Sektors der Indie Games, lässt der reale Rückgriff auf altbewährte Narrationen und Spieldesigns diese „Vielfalt“ jedoch noch immer vermissen. Die Games for Change Awards wollen das gesellschaftskritische und politische Potential von digitalen Spielen fördern. Im Jahr 2016 zeichneten sie das episodenhaft angelegte, interaktive Story-Game Life is Strange (2015) in den Kategorien „Game of the Year“ und „Most Significant Impact“ aus. Dieser Beitrag soll untersuchen, inwiefern Life is Strange mit der konventionellen, optischen und charakterlichen Darstellung von Frauen in digitalen Spielen bricht und sich mit der klaren Benennung von gesellschaftlich tabuisierten Themen von gängigen Top-Titeln abhebt. Auch die Ebene des Spieldesigns wird dabei in den Blick genommen und die im Regelwerk eingeschriebene Art der Involvierung des_der Spieler_in kritisch betrachtet.

„Grooming for Guys“ – Männliches Schönheitshandeln in Barber Shops

Stefanie Raible

Barber Shops sind kulturelle Phänomen im deutschsprachigen Raum, die sich medialer Beliebtheit erfreuen und als Trends u.a. in diversen Zeitschriften und Magazinen rezipiert werden. Anhand einer Website-Analyse wird gezeigt, wie sie sich als „Rückzugsort nur für Männer“ inszenieren. Folglich stellt sich die Frage, wie in einem von männlicher Kodierung nur so strotzenden Diskurs männliches Schönheitshandeln verhandelt wird. Zudem soll gezeigt werden, wie sich diese Diskurse in gesamtgesellschaftliche Diskurse, etwa der neoliberalen Selbstoptimierung oder einer Krise der Männlichkeit, einfügen lassen. Jene krisenhafte Männlichkeit, die hier produziert wird, zeigt sich dabei gerade als tendenziell hegemoniale, weiße, bürgerliche Männlichkeit.

Reproduktion des Ungeborenen. Zwei Sammelbände beschäftigen sich mit den sichtbaren und
unsichtbaren Konsequenzen der Schwangerschaft

Stephanie Heimgartner, Simone Sauer-Kretschmer

Der Beitrag bespricht zwei wissenschaftliche Sammelbände, die sich sowohl aus medienkomparatistischer als auch aus kulturwissenschaftlicher und historischer Perspektive mit Schwangerschaft beschäftigen. Dabei liegt der Fokus von Reproductive Rights Issues in Popular Media von Waltraud Maierhofer und Beth Widmaier Capo auf der zeitgenössischen medialen Darstellung und künstlerischen Adaption von Fragen zur Verhütung, Abtreibung und Schwangerschaft. Im Mittelpunkt stehen dabei Beispiele der gegenwärtigen Populärkultur mit internationalem Fokus. Der von Urte Helduser und Burkhard Dohm herausgegebene Band Imaginationen des Ungeborenen erarbeitet hingegen einen historischen Wissensdiskurs zur vorgeburtlichen Prägung des Ungeborenen, der auf die prominente Gefahr des Sich-Versehens durch die Mutter zurückgeht, wodurch die Vorsorgepflicht der Schwangeren gegenüber dem Ungeborenen eine neue, sich gerade heute noch stetig ausweitende, Dimension erhält.