Ausgabe #24 (Januar 2020)

How to gender im Journalismus: Leitfaden für einen geschlechtersensiblen Journalismus Katja Vossenberg
„Magda macht das schon!“? Barrieren, Handlungsspielräume und Wandel in den Geschlechterkonstruktionen polnischer Care-Arbeiterinnen in der häuslichen Pflege Lena Spickermann
„Untenrum frisch“: Vergeschlechtlichte Medikalisierung durch Intimhygiene Anne Rauber
Die Alt Right-Bewegung – Das Erstarken eines antifeministischen und reaktionären Kulturkampfs im Internet Sonja Marzock


Zu dieser Ausgabe

Die diesjährige Winterausgabe #24 des onlinejournal kultur&geschlecht versammelt vier Beiträge von Abvsolvent*innen aus dem Umfeld der Gender Studies, deren Perspektiven gegenwärtige und praktische Diagnostiken des Verhältnisses von Kultur und Geschlecht leisten. Anhand sehr verschiedener Gegenstände wie weiblicher Hygienediskurse, europäischer Care-Regimes, der Alt Right-Bewegung sowie geschlechtersensibler Sprache stellt die Ausgabe die gegenwärtig offene Frage, wie sich Geschlechterpolitiken insbesondere im Spannungsfeld zu Biopolitiken zeitgenössisch weiterentwickeln.

Die Journalistin Katja Vossenberg entwirft in ihrem Beitrag einen Leitfaden zur Entwicklung geschlechtersensibler und antidiskriminierender Sprache in journalistischen Texten. Dieser macht deutlich, dass Ungleichheit (auch) in der Sprache hergestellt wird und also gerade solche Textsorten sprachliche Sensibilität erfordern, deren Anspruch es ist, objektiv Bericht zu erstatten. Der in der Ausgabe veröffentlichte Leitfaden ist daher weniger eine Gebrauchsanweisung als ein Dokument, das zur Schärfung kritischer Wahrnehmung im Prozess des journalistischen Schreibens anleitet.

Die gegenwärtigen Verstrickungen von Gender- und Care-Regimen analysiert Lena Spickermann konkret am Beispiel weiblicher polnischer Pflegekräfte in Deutschland, insbesondere im Ruhrgebiet. Deutlich wird, dass durch die Integration von Frauen der gehobenen Mittelschicht in den Arbeitsmarkt Ressourcen für Pflegearbeit fehlen. Die sogenannte 24h-Pflege bringt prekäre und ungeschützte Arbeitsverhältnisse hervor, die durch das bundesdeutsche Sozialsystem und die europäischen Migrationspolitiken begünstigt werden.

Mit viel Humor dokumentiert Anne Raubers Beitrag den diskursiven Zustand weiblicher Intimhygiene: Angesichts des stetig wachsenden Marktes an Intimpflegeprodukten, die meist keinen medizinischen Zweck erfüllen, geht sie den Wissensbeständen und Beratungspraktiken in Apotheken nach, die dieses Marktsegment Kundinnen zu empfehlen suchen und damit zu einer geschlechtsspezifischen Medikalisierung beitragen.

Sonja Marzocks Beitrag zeigt die Geschichte, die Netzwerke sowie die digitalen Kommunikationsstrategien der Alt Right-Bewegung auf und analysiert am Beispiel von Memes ihre Gender Politiken. Inhärente ideologische Widersprüche erweisen sich dabei keineswegs als Schwäche der Bewegung(en). Die Analyse verdeutlicht, dass die Alt Right zwar aus den USA kommt, aber nicht zuletzt durch das Internet längst in die komplexen und zunehmend militanten europäischen rechten Bewegungen und Netzwerke eingebunden ist.

How to gender im Journalismus: Leitfaden für einen geschlechtersensiblen Journalismus

Katja Vossenberg

Medien konstruieren über Texte, Narrative und Bilder jeden Tag, was als Geschlechterrealität in unserer Gesellschaft gilt. Denn über Sprache wird Realität konstruiert. Journalist_innen nutzen Sprache tagtäglich und tragen somit maßgeblich zu diesem Konstruktionsprozess bei. In Anschluss an Judith Butlers Theorie der Performativität von Geschlecht, Erkenntnissen aus der Stereotypenforschung und der Objektivitätskritik nach Donna Haraway, zeigt dieser Artikel auf, wie im Journalismus geschlechtersensibel gearbeitet werden kann. Mithilfe von Ergebnissen aus Expert_inneninterviews wer-den konkrete Handlungsempfehlungen für den Journalismus und Kernpunkte eines Leitfadens für einen geschlechtersensiblen Journalismus entwickelt. Interviewt wurden Mithu Sanyal, Tarik Tesfu, Antje Schrupp und Lea Susemichel.

Eine Kurzversion des Leitfadens ist hier zu finden.

„Magda macht das schon!“? Barrieren, Handlungsspielräume und Wandel in den Geschlechterkonstruktionen polnischer Care-Arbeiterinnen in der häuslichen Pflege

Lena Spickermann

Die sogenannte 24-Stunden-Pflege hat sich in der hiesigen Gesellschaft zu einem boomenden Geschäft entwickelt. Eine individualistische Lösung auf ein alltagsgefährdendes Problem: Die Pflege eines Angehörigen, die in postindustriellen Gesellschaften zwangsläufig mit unauflösbaren Widersprüchen verbunden ist. Strukturelle als auch normative Zwänge wie sie etwa in einer familialistisch ausgerichteten, deutschen Pflegepolitik oder starren Geschlechterkonstruktionen vertreten sind, schwingen bei der Entscheidung für eine angemessene Pflegeform unweigerlich mit. Sie werden von der steigenden Erwerbstätigkeit mittelständiger Frauen und dem Bedeutungsverlust von familiärer Gemeinschaft konterkariert. Eine privatisierte Auslagerung der familiären Verpflichtungen an eine migrantische, meist osteuropäische Care-Arbeiterin situiert ein Konzept, das diese Diskrepanzen abzufangen vermag. Doch welche Konsequenzen hat eine transnationale Arbeitsmigration auf die Lebensräume der so beschäftigten Frauen? Wie gestaltet sich die Ambiguität des Privatraums als marktförmige Reproduktionsstätte? Und welchen Einfluss übt ein solches Arrangement auf die Geschlechterkonstruktionen der Gruppe der polnischen Care-Arbeiterinnen aus? Der Beantwortung dieser Fragen soll in vorliegendem Artikel nachgegangen werden.

„Untenrum frisch“: Vergeschlechtlichte Medikalisierung durch Intimhygiene

Anne Rauber

Die Medikalisierung des Körpers, im Speziellen des weiblichen Intimbereichs, hat dazu beigetragen, eine Vielzahl an Optimierungsmöglichkeiten für das Individuum aufzuzeigen. Ein Beispiel dafür ist die kontinuierliche Ausweitung des Markts an sogenannten Intimpflegeprodukten in Apotheken. Diese versprechen neben der Herstellung eines „Frischegefühls“ auch eine Investition in die eigene Gesundheit. Wie aber wird im öffentlichen Raum über Intimhygiene gesprochen? Welche Wis-sensbestände werden verhandelt, die zu einer geschlechtsspezifischen Vorstellung von Hygiene beitragen? Dies soll im folgenden Artikel anhand der Ergebnisse einer wissenssoziologischen Beobachtungsstudie diskutiert werden.

Die Alt Right-Bewegung – Das Erstarken eines antifeministischen und reaktionären Kulturkampfs im Internet

Sonja Marzock

Weltweit sind rechtspopulistische Parteien und Vereinigungen wie die Alt Right-Bewegung auf dem Vormarsch. In dieser Bewegung versammeln sich etablierte konservative bis extrem rechte Vereinigungen, die eine Gesellschaftsumwälzung ethnopluralistischen Vorbilds anstreben. Insbesondere in den USA hat sich eine digitale Gegenkultur formiert, die es geschafft hat, diskriminierende politische Inhalte in ironische Memes und Verschwörungsnarrative zu ,alternativen Fakten‘ umzudeuten. Infolge dieses Prozesses wurde das gesamtgesellschaftliche Feld des Sagbaren von antifeministischen und reaktionären Kräften nach rechts verschoben. Dies hat Auswirkungen auf ein demokratisches Miteinander und begünstigt nicht nur in den USA diskriminierende Strukturen wie die Verschärfung von Einwanderungsgesetzen.